Als vor Kurzem bekannt wurde, dass das Gesundheitsministerium in der Pandemie offenbar Milliarden für überteuerte PCR-Tests ausgegeben hatte – eine Recherche, an der auch ich beteiligt war, sprang dem kritisierten ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn eine Journalistin zur Seite. Sie beklagte in einem Zeitungskommentar dieses „kleinliche Gemäkel“ und die „Erbsenzählerei“, die man im Nachhinein an Spahns Pandemiepolitik übe.
In ziemlich ähnlichen Worten verteidigt sich auch Spahn selbst. Es sei eben eine unübersichtliche Lage gewesen, man habe schnell handeln müssen und besonders bei der Maskenbeschaffung hätten Wild-West-Zustände geherrscht. Im Übrigen, so der Titel eines Spahn-Buches über die Pandemie, müsse man einander „viel verzeihen“.
Kritik an Pandemiepolitik nicht per se unfair
Aber ist Kritik an der Pandemiepolitik wirklich unfair, wie Spahn und andere heute glauben machen wollen? Ist man nur hinterher immer schlauer und legt deshalb die falschen Maßstäbe an die damals Verantwortlichen an? Vielen Journalisten hat man während der Pandemie oft vorgeworfen, zu nah an der Regierungspolitik zu sein und zu wenig Kritik daran zu üben. Müssen wir uns umgekehrt jetzt vorwerfen lassen, wir seien unangemessen hart in unserer Kritik?
Tatsächlich gehört zu einer fairen Berichterstattung, dass man sehr genau die Umstände berücksichtigen muss. Ein und dieselbe Maßnahme kann im März 2020 gerechtfertigt gewesen sein, im März 2021 fraglich und im März 2022 unverantwortlich. Schulschließungen gehören zum Beispiel in diese Kategorie. Deutschland hat so lange wie kaum ein anderes europäisches Land die Schulen geschlossen, auch noch im Jahr 2021, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits sehr viel mehr Wissen über die schädlichen Auswirkungen der Schulschließungen bekannt war.
Vorwurf der Verschwendung von Steuergeld
In gleicher Weise verhält es sich mit dem Kauf von Masken: Im März 2020 war es verantwortbar, auch fünf Euro für eine FFP2-Maske zu bezahlen. Aber schon wenige Wochen später purzelte der Preis. Dennoch hat zum Beispiel Jens Spahn Ende April noch Masken für mehr als eine halbe Milliarde Euro zum Stückpreis von 5,40 Euro beim Schweizer Händler Emix kaufen lassen.
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt deshalb gegen den zuständigen Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium wegen der Verschwendung von Steuergeld. Dass das Ministerium einen Monat zuvor noch weit mehr Geld für eine FFP2-Maske bezahlt, begründet nach Ansicht der Ermittler jedoch keinen Verdacht. Damals waren eben die Marktpreise tatsächlich noch höher.
Eine Geldverschwendung – nicht nur aus heutiger Sicht – war auch die Aktion im Dezember 2020, FFP2-Masken gratis an Seniorinnen und Senioren abzugeben. Nicht die Abgabe an sich war problematisch, dafür gab es sehr gute Gründe. Aber die Preise waren absurd hoch: In Drogeriemärkten konnte man damals Masken bereits für ein bis zwei Euro kaufen. Das Ministerium zahlte den Apothekern aber 6 Euro pro Maske – vollkommen egal, zu welchem Preis diese die Masken zuvor eingekauft hatten. Im Schnitt flossen mehr als 100.000 Euro an jede einzelne Apotheke in Deutschland. In erstaunlicher Offenheit gestand damals ein Apotheker: „Wir haben uns dumm und dämlich verdient.“
In Berlin hat das Gesundheitsministerium nicht ganz zu Unrecht den Ruf, das Ministerium zu sein, das am wenigsten aufs Geld achtet. In der Pandemie hat diese althergebrachte Lockerheit im Umgang mit Steuergeld zu gigantischen Ausgaben geführt, die bis heute nicht aufgearbeitet sind. Vielleicht müssen die Bürger Politikern wegen deren Handeln in der Pandemie manches verzeihen. Aber eben auch nicht alles.