Von Markus Grill, Leonard Scharfenberg und Berit Uhlmann
Verfechter von mobilen HEPA-Luftfiltern an Schulen reagieren seit Wochen auf Twitter und in Emails ziemlich empört auf unseren Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ (https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/luftfilter-schulen-christian-kaehler-hersteller-bundeswehr-trotec-1.5438397?reduced=true).
In dem Artikel hatten wir beschrieben, dass es in Wissenschaft und Politik Zweifel daran gibt, ob die Luftfilter tatsächlich einen substanziellen Zusatznutzen zur ohnehin nötigen Fensterlüftung aufweisen (sofern keine raumlufttechnischen Anlagen installiert sind). Denn es gibt bisher keine Studien, die belegen, dass sich Schülerinnen und Schüler tatsächlich weniger infizieren würden. Auch über potenzielle Nachteile wie Lärmbelastung, Zugluft, ein Gefühl falscher Sicherheit, die nötige Qualität der Geräte und die damit zusammenhängende Frage der Kosten gibt es wenig belastbare Fakten, aber sehr konträre Ansichten.
Der zentrale Fürsprecher einer flächendeckenden Ausstattung aller Unterrichtsräume mit HEPA-Luftfiltern ist Prof. Christian Kähler. Er hat nach eigenen Angaben für ungefähr zehn Firmen Untersuchungen durchführt. Nun behaupten die Anhänger der Luftfilter in ihren Briefen und Posts, es stimme gar nicht, dass Prof. Kähler für zehn Herstellerfirmen Untersuchungen durchführe.
Deshalb wollen wir an dieser Stelle aus Gründen der Transparenz das Transskript des O-Ton-Interviews veröffentlichen, das wir am 27. September 2021 in München mit ihm geführt haben.
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O-Ton Interview mit Prof. Dr. Christian Kähler am 27.09.2021 in München
Bei allen Arbeiten, die Sie auch so auf Ihrer Website veröffentlicht haben, steht dann ja drin, dass die auch von Herstellern gesponsert sind. Worin bestanden diese Zuwendungen der Hersteller eigentlich?
KÄHLER: Also das ist ganz üblich in Deutschland natürlich, dass man das angibt, aber auch, dass man eine Finanzierung erhält durch die Hersteller. (…) Vom Umfang her ist es so, dass wir Equipment zur Verfügung gestellt bekommen haben, die Luftreiniger beispielsweise, weil wir haben diese Untersuchung für zehn unterschiedliche Firmen jetzt beispielsweise gemacht. Und die haben uns die Geräte dann jeweils zur Verfügung gestellt. Aber natürlich wurde auch etwas bezahlt für die Durchführung der Experimente, denn wir können das sonst gar nicht leisten.
Das heißt, um richtig unabhängige Studien durchzuführen, gibt es keine Mittel?
KÄHLER: Nein, das müsste ich aus dem Basis-Institutshaushalt und der ist so klein, das kann man nicht draus machen, das geht nicht. Man könnte alternativ ein Forschungsprojekt beantragen über die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ja, das habe ich auch gemacht. Das dauert dann ein Jahr länger, bis man die Mittel hat. Ja und jetzt habe ich solche Projekte auch. Das heißt da kann ich dann ganz unabhängig Forschung betreiben. Aber natürlich wird es die Ergebnisse dann auch erst in ein, zwei Jahren geben.
In einer Pre-Print-Arbeit hieß es, „Kähler received allowances as part of his salary“. Das heißt, ein Teil ihres Einkommens ist dann von den Herstellern?
KÄHLER: In welcher Arbeit soll das sein?
Das ist die über die Obermentzinger Schule, da steht das im Abstract vorne drin.
KÄHLER: Also die Universität kriegt was. Und das Institut kriegt da was...
... „as part of his salary“ ...
KÄHLER: Ja. Hm. Wundert mich jetzt ein bisschen.
Ich wollte nochmal zu den Interessenkonflikten: Sie haben vorher gesagt, Sie haben, glaube ich, für zehn Hersteller Arbeiten gemacht, oder?
KÄHLER Ungefähr, sag ich. Ja.
Wäre es nicht richtig, diese zehn Hersteller auch aufzulisten, wenn man seine Interessenkonflikte angibt?
KÄHLER: Naja, es sind ganz unterschiedliche Studien. Also das sind auch nicht alles Studien, die veröffentlicht wurden. Das waren teilweise auch einfach nur Analysen der Geräte, um festzustellen, welche Mängel diese Geräte letztendlich haben.
Wenn sie von zehn Herstellern von Lüftungsgeräten Geld bekommen: Ist das kein Interessenkonflikt, den man, wenn man sich zum Thema Luftfilter äußert, irgendwie offenlegen oder deklarieren sollte?
KÄHLER: Naja, das hab ich in den Studien ja gemacht, die veröffentlicht wurden. Da steht immer...
…da haben Sie immer nur die eine Sponsorenfirma genannt.
KÄHLER: Nein, es gibt noch andere Sponsorfirmen. Ich hab ja viele Berichte geschrieben (…).
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Hier weitere Links für alle, die sich darüber informieren wollen, wie viel Skepsis es auch in der Wissenschaft gegenüber dem flächendeckenden Einsatz dieser Geräte in allen Klassenzimmern gibt:
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH):
https://www.krankenhaushygiene.de/pdfdata/2021-09-13-Stellungnahme-DGPI-DGKH.pdf
Stellungnahme Umweltbundesamt:
https://www.umweltbundesamt.de/themen/lueftung-lueftungsanlagen-mobile-luftreiniger-an
S3-Leitlinie Schulen und Corona (Seite 17): https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/027-076k_Praevention_und_Kontrolle_SARS-CoV-2-Uebertragung_in_Schulen_2021-02_01.pdf
VDI-Richtlinie: Anforderungen an mobile Luftreiniger:
https://www.vdi.de/news/detail/anforderungen-an-mobile-luftreiniger
Stellungnahme von Prof. Dr. Caroline Herr, Präsidentin der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP):
„Es gibt keine Untersuchung, die zeigt, dass sich Schülerinnen und Schüler weniger häufig infizieren, wenn ein mobiles Luftfilter-Gerät im Klassenzimmer steht. In der Praxis hat das Thema bei weitem nicht die Relevanz für das Infektionssgeschehen, die es gelegentlich in den Medien hat. Der Effekt ist theoretisch gegeben, aber das reicht eben nicht, um diese Geräte generell zu empfehlen. Keine medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft, spricht sich für einen flächendeckenden Einsatz dieser Geräte aus. Es ist nicht möglich zu zeigen dass diese Geräte – für sich allein betrachtet - einen Beitrag zum Gesundheitsschutz leisten. Wir tun den Schülerinnen und Schülern damit nichts Gutes, wenn wir diese Geräte flächendeckend aufstellen. Wer verspricht oder suggeriert, dass man mit Luftfiltern und Plexiglaswänden auf den Mund-Nasen-Schutz verzichten kann, handelt unseriös. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, der so eine Empfehlung begründen würde - ganz im Gegenteil. Viele Leute, auch Eltern und Politiker, versprechen sich von den Geräten viel zu viel. Das Klassenzimmer regelmäßig zu lüften ist dagegen viel effektiver."
WHO-Richtlinie zur Belüftung von Innenräumen: https://www.who.int/publications/i/item/9789240021280
Studie der Universität Stuttgart:
Bewertung der Fachhochschule Mittelhessen:
Stellungnahme von Prof. Martin Kriegel, TU Berlin zum Schulkonzept von Prof. Kähler: https://www.ggberlin.de/public/GGN_01-2021-Beilage.pdf
Zudem gibt es Fachleute, die sich zwar für technische Lösungen aussprechen, aber dazu Ventilator-gestützte Systeme als sehr viel effektiver ansehen als Luftfilter:
https://www.mpic.de/5040628/statement-empfehlung-fensterlueften
Außerdem gibt es selbst unter wissenschaftlichen Vertretern der Luftfilter Zweifel daran, ob wirklich HEPA-Filter mit ihren hohen Filterklassen nötig sind:
Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung: https://ae00780f-bbdd-47b2-aa10-e1dc2cdeb6dd.filesusr.com/ugd/fab12b_647bcce04bdb4758b2bffcbe744c336d.pdf
Schließlich noch ein Wort zum viel zitierten Positionspapier der DFG: https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/corona_infos/positionspapier_aerosole.pdf
Anders als oft behauptet empfehlen die Autorinnen und Autoren mobile Luftfilter nicht pauschal, sondern nennen ihren Einsatz „möglich“, wenn es keine raumlufttechnischen Anlagen gibt und die Fensterlüftung technisch nicht möglich ist. Die Autoren fassen die Bedingungen, unter denen sie die Fensterlüftung für nicht möglich halten, weiter als das UBA und beziehen beispielsweise Straßenlärm mit ein. Nach unserem Wissen kann derzeit nicht exakt quantifiziert werden, wie oft diese Bedingungen vorliegen. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass sie flächendeckend in Deutschland gegeben sind, so dass das Positionspapier nicht als pauschale Empfehlung für mobile Luftfilter verstanden werden kann.