Am Donnerstag, den 5. März erklärten die Gesundheitsbehörden in Island den österreichischen Ski-Ort Ischgl zum Risikogebiet, nachdem zuvor mehrere Isländer, die in Ischgl waren, positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Doch im Ostalbkreis in Baden-Württemberg erfuhren die Behörden von dieser Warnung nichts. Entsprechend sorglos machten sich zwei Tage später noch sechs Omnibusse mit 200 Skifahrern aus dem Ostalbkreis nach Ischgl auf.
Am Sonntag, den 8. März kamen sie zurück und gingen danach eine Woche lang in die Schule, ins Büro und in die Kneipen in Aalen. Zwei der Skifahrer hatten sich nach ihrer Rückkehr testen lassen. Das Ergebnis lag am Donnerstag, den 12. März dem Gesundheitsamt vor. Noch am gleichen Abend forderte das Landratsamt die anderen Skifahrer über die Medien dazu auf, sich ebenfalls testen zu lassen.
Die Busunternehmer übermittelten die Namen der Reisenden, zehn Feuerwehrleute telefonierten daraufhin bis Mitternacht die Betroffenen ab, überwiegend junge Leute, und riefen sie dazu auf, mit dem Auto an einer mobile Teststation vorzufahren, die das Landratsamt am Freitag den 13. März eingerichtet hat. Bis heute wurden dort rund 600 Personen getestet - doch auf ihre Testergebnisse müssen sie zum Teil lange warten.
Die Studentin Lucie Kawka, 20, kam auch aus Ischgl zurück von Skifahren, allerdings war sie nicht in einem der sechs Busse unterwegs, sondern mit dem Auto in Österreich. "Ich hab am Wochenende beim Gesundheitsamt angerufen, aber da hieß es nur, ich solle zwei Wochen lang zuhause bleiben." Am Montag dieser Woche drang sie dann aber doch auf einen Test, fuhr mit dem Auto zum Drive-In und ließ sich einen Abstrich nehmen. "Das Ergebnis bekomme ich aber erst in ungefähr einer Woche, hieß es."
Von Sonntag, den 15. März auf Montag stieg die Zahl der Infizierten im Ostalbkreis um 50 Prozent, von Montag auf Dienstag um 84 Prozent. Am Mittwochvormittag registrierte das Landratsamt 109 Infizierte. Der Ausbruch im Ostalbkreis hat das Potenzial zu einem neuen Hotspot der Coronavirus-Infektion zu werden.
Noch gebe es keine schweren Erkrankungen, aber noch seien auch längst nicht alle Testergebnisse der Skifahrer da, wie Landrat Klaus Pavel (CDU) auf Anfrage erklärt. So stehen nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" mit Stand Dienstagabend noch 230 Testergebnisse aus.
Was an dem Fall in Aalen sichtbar wird: Wie schwierig es zunehmend wird, das Virus einzudämmen, wenn die Infizierten erst weiter ihrem Alltag nachgehen und dann auch noch eine Woche auf ihrer Testergebnisse warten müssen. Das zuständige Sozialministerium in Baden-Württemberg räumt ein, dass die Bearbeitung der Corona-Proben "teilweise mehrere Tage in Anspruch" nehme. "Aktuell übersteigt der Probeneingang die Kapazität unseres Landeslabors stark", schreibt der Sprecher von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) auf Anfrage.
So können im Labor des Landesgesundheitsamts Baden-Württemberg "in der Regel ca. 70 Proben pro Tag" bestimmt werden. Tatsächlich gingen derzeit aber bis zu 300 Proben täglich ein. "Wir wissen von vielen Laboren in Baden-Württemberg, die an der Kapazitätsgrenze angelangt sind", schreibt Ministeriumssprecher Markus Jox auf Anfrage. Weil diese Wartezeit nicht hinnehmbar sei, erklärt Landrat Pavel, beginne der Ostalbkreis jetzt damit, seine Corona-Tests in ein 440 Kilometer entferntes Labor nach Leverkusen zu schicken.
Bundesweit sind derzeit pro 100.000 Einwohner knapp zehn Personen mit dem Coronavirus infiziert, wie das Robert Koch-Institut heute mitteilte. Im Ostalbkreis sind es nun drei mal so viel, also 30 pro 100.000 Einwohner. Und die Angst der Einwohner, ob auch sie infiziert sind, grassiert ebenfalls.
Am vergangenen Samstag, so berichtet Landrat Pavel, habe es 18.000 Anrufversuche bei der Hotline gegeben, am Sonntag seien es noch mal 12.000 gewesen. Etwa 1000 der 300.000 Einwohner des Landkreises befinden sich inzwischen in Quarantäne, rechnet Susanne Dietterle, Sprecherin des Landratsamts, vor - Tendenz stark steigend.
Von den jungen Skifahrern werden vermutlich nicht allzu viele ins örtliche Krankenhaus müssen. Aber wen haben die Skifahrer angesteckt in der Woche zwischen ihrer Rückkehr und der Erkenntnis, dass Ischgl eine Virusschleuder war?
Im Ostalb-Klinikum laufe "alles noch in seinen geordneten Bahnen", sagt der Leiter des Klinikums, Ulrich Solzbach, am Telefon. Der Kardiologe sagt, sie bemühen sich gerade, die nicht-akuten Operationen zu reduzieren, außerdem gehe es darum, 50 Prozent der Intensivbetten frei zu bekommen "für die Omas und Opas der Ischgl-Rückkehrer", so Solzbach, "das ist das Risikobürgertum".
Der Chef der Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, hat am Mittwoch noch mal eindringlich die Krankenhäuser in Deutschland ermahnt: "Bauen Sie Ihre Intensiv- und Beatmungskapazitäten auf, verdoppeln Sie sie mindestens."
Verdoppeln? Da kann Ostalbklinik-Chef Solzbach in Aalen nur lachen. "Das ist ein frommer Wunsch, wir können vielleicht eine Erhöhung um zehn Prozent schaffen." Wenn er "alles hochschraube" komme er in den drei Kliniken des Ostalbkreises "auf 40 bis 45 Beatmungsplätze", sagt Solzbach. Aber ob das reicht? Landrat Pavel räumt unterdessen auf Anfrage ein, dass es "Hintergrundpläne" gebe, eine Turnhalle in Aalen in ein Notkrankenhaus zu verwandeln, wo 150 Patienten Platz finden können - sollte die Zahl der Covid-19-Patienten stark ansteigen. "Im Moment fühlen wir uns organisatorisch noch gut vorbereitet."